Des is' kein Fräulein, des is' e aalt' Hex.

Sie würde wieder Hüte tragen. Das war ihr ganz persönliches Wirtschaftswunder, schreibt eine Autorin aus dem Vogelsberg. Einen völlig anderen Akzent für die Fünfzigerjahre setzt ein Schreiber aus Bad Nauheim: Unser Vater hatte eine Abneigung gegen das öffentliche Schulsystem und hat deswegen alle sechs Kinder von einem Privatlehrer unterrichten lassen. An das Gesprächsthema Nummer eins unter den Erwachsenen erinnert ein Autor aus dem Landkreis Gießen: Woas hoat dann die Sau gewoche? – Ei, eabbes üwwer zwaaehalb Zirntner.

Das sind nur einige wenige Gedankensplitter und Mosaiksteine aus einem neuen Buch, das OVAG jetzt herausgegeben hat: Des is‘ kein Fräulein, des is‘ e aalt‘ Hex. Darin erzählen über einhundert Menschen aus Oberhessen ihre prägenden Kindheits- und Jugenderinnerungen aus den Fünfzigerjahren.

Die Fünfziger, ein Jahrzehnt, das Weltgeschichte schrieb. Ein Jahrzehnt, das dem furchtbaren Krieg und den Nachkriegswirren folgte und im kollektiven Gedächtnis der Deutschen tief verankert ist. Gründung der Montanunion, Suez-Krise, Aufstand in Ost-Berlin, Deutschland wird Fußballweltmeister, die Russen schicken mit Sputnik den ersten künstlichen Erdsatelliten ins Weltall – das alles und viel mehr ist gut dokumentiert, über all das wird von Zeit zu Zeit geschrieben und gesendet, die dazugehörigen Bilder stehen jedem gleich Ikonen vor den Augen.

Nicht dokumentiert sind jedoch in der Regel die Erlebnisse und Gedanken jener Menschen, die fern der Großstadt als Kind oder Jugendliche diese Zeit erlebt haben. In dem neuen Buch nun berichten Menschen aus Oberhessen, wie sie diese Zeit erlebt haben. Samstags wurde gebadet. Dabei hatte ich als Mädchen Glück, denn ich durfte vor den Brüdern ins Wasser. Die Autoren erzählen persönlich, authentisch, aufregend und anrührend. Sie war begeistert von den schön glänzenden Hüfthaltern und der Herr forderte sie auf, doch einmal ein solches Teil zu probieren. OVAG-Vorstand Rainer Schwarz: Was hier dokumentiert ist, ist im Prinzip Geschichtsschreibung von unten. Um eine weitere Stimme zu zitieren: So verbrachten wir jahrelang in familiärer Eintracht die Samstagabende in einem Duftgemisch aus Handelsgold, Ernte 23, Tosca und Ölofengeruch.

Besonders deutlich kommt bei der Lektüre hervor, unter welch – verglichen mit der Gegenwart – einfachen Bedingungen die Kinder und Jugendlichen aufwuchsen, vielfach aber dennoch ein Zusammenhalt und eine Zufriedenheit durchdringt, die heute nicht unbedingt selbstverständlich sind. Auch dies ist zu lesen: Meine Schulzeit war gerecht und streng. Habe damals auch mit dem Stöckchen auf die Finger bekommen und habe es überlebt.

Kratzestrümpf´ tauchen aus der Erinnerung auf, selige Erinnerungen an das Schlachtfest, an das Abbé im Garten, an die Stecke-Opas, an die Freude, die über den Kauf einer Eiskugel aufkommen konnte und über die Begegnung mit Amerikanern (Häff ju schoklit for mie?). Promis tauchen auch wie Harald Juhnke, Hans Söhnker und natürlich aber unvermeidlich Elvis Presley. Ebenso bislang eher unbekannte Persönlichkeiten wie Kochmartin, Lofingsliese und Brillrichard. Natürlich wird auch der Titel des Buches aufgeklärt, von dem Fräulein und der aalt´ Hex. Und ein ehemaliger Bub erinnert sich, als wäre es erst gestern gewesen: Wir spielten, wir wären Amis. Wenn uns jemand entgegen kam, taten wir so, als kauten wir Kaugummi, und redeten irgendein Kauderwelsch, das amerikanisch klingen sollte.

Interessiert?

Erhältlich im Buchhandel oder telefonisch unter 06031 6848-1193.

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