Zuhause kritisch beäugt, in Bad Nauheim gefeiert.

Internationales OVAG-Varieté: Die Revolution Queens wirbeln täglich über das Parkett der Theaterbühne.

Vor der Leidenschaft steht bekanntlich das Leiden, das dieselbe erst schafft. Wer derzeit täglich im Dolce-Theater von Bad Nauheim beim 20. Internationalen OVAG-Varieté bewundern darf, mit welcher Passion die neun „Revolution Queens“ aus Argentinien über das Parkett rhythmisch tanzen, im Stakkato die Bola-Bola-Kugeln auf den Boden rattern lassen und zwischendurch wie Derwische noch die Trommeln schlagen, der ahnt, welche Anstrengungen dieser außergewöhnlichen Darbietungen wohl vorangegangen sein müssen, bis die 19- bis 34-Jährigen befähigt waren für einen ersten Auftritt. Grandezza, Latino-Temperament und kaum zu bändigende Lebensfreude vereinen sich in der achtminütigen Darbietung.

Dabei ist das Spektakel auch ein Ausrufezeichen gegen den Machismo. „In Argentinien ist es absolut ungewöhnlich, dass Frauen die Bola-Bola-Kugeln schwingen. Das war und ist eigentlich den Männern vorbehalten, weil sie die Kugeln dazu benutzen, um in der Pampa die Stiere einzufangen“, erzählt Kristoff Estefano, der vor sechs Jahren auf die kühne Idee kam, eine Frauen-Truppe in diesem Genre zusammenzustellen, als er eine Anfrage von den Produzenten der Fernsehsendung „America Got Talent“ erhielt. Selbst dort war man zunächst skeptisch, als Estefano seinen Vorschlag mit den Frauen vorbrachte. Aber er setzte sich durch und die 22 (!) Frauen, die er damals aufbot, auf Anhieb auch. Wenngleich: „Wenn wir in Argentinien unterwegs sind, erhalten wir immer noch Kommentare in dem Sinne: Für Frauen gehört sich so etwas nicht.“

Der 38-jährige Kristoff Estefano entstammt einer traditionsgetränkten Artisten-Familie. Der Vater aus dem legendären Zirkus-Clan der Althoffs, die Mutter eine mexikanische Trapez-Künstlerin. Bei dieser Konstellation, ständig auf Achse rund um die Welt – wo fühlt er sich zugehörig? „Die Welt ist mein Zuhause“, bekennt er lachend. Der Laie unterstellt Artisten mit einem derartigen Hintergrund gerne eine gewisse Nonchalance. Die mag Estefano eigen, aber bei seine Queens pocht er auf Regeln: „Bei uns gibt es das chinesische System.“ Soll heißen: „Kein Alkohol während eines Engagements. Kommt eine unpünktlich zum Training, trägt sie eine dabei die falsche Kleidung – 50 Euro Strafe.“ Estefano zeigt die entsprechende Regeln auf seinem Smartphone und raunt dem Berichterstatter zu: „Halt du mal neun argentinische Frauen unter Kontrolle“, zieht er eine Augenbraue nach oben. Dabei gehören der Truppe insgesamt 86 Künstler an, Frauen und Männer, die weltweit auf den Beinen sind.

Von Beginn an dabei die 34-jährige Natalin Freire. Sie wurde von Estefan beim Tanzen entdeckt und eine der ersten „Revolution Queens“. „Es bedarf einer großen Disziplin, hier erfolgreich zu sein“, sagt sie. „Das bedeutet tägliches Training in unterschiedlichen Disziplinen. Natürlich man muss man ständig auf sein Gewicht achten, also auf das, was man isst.“ Eine der jüngsten ist Josefina Leguizamón, 21 Jahre jung. Sie studiert in Buenos Aires eigentlich Tanz, von der Folklore bis hin zum Ballett, hat ihr Studium aber gerne für diese „einmalige Gelegenheit“ unterbrochen. „Allein die Reisen – von den USA über den gesamten Nahen Osten bis jetzt hin nach Deutschland.“ Neun Frauen in einer Kür – geht das gut. „Klar“, sagt Josefina und lacht. „Es gibt mal klare Worte wie in jeder anderen Gemeinschaft. Aber jede hält sich an die Regeln, jede gibt ihr Bestes, jede ist offen für Kritik, jede möchte für sich das Optimum herausholen, keine tanzt aus der Reihe.“ Keine Starallüren und deshalb ist es von Kristoff Estefan natürlich ein geschickter Schachzug, dass jede der jungen Frauen während des Acts ihr Solo hat.

Ihr bisher spektakulärster Auftritt: Bei der Eröffnungsfeier der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Das soll es aber nicht gewesen sein mit. „Mein Ziel ist es, dass diese Frauen bei der Oscar-Verleihung auftreten“, sagt Estefan felsenfest überzeugt. Augen auf, Kameras an für die Frauen-Revolution in Hollywood …

Internationales OVAG-Varieté: Die Revolution Queens wirbeln täglich über das Parkett der Theaterbühne.

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